Beim Laubrechen

Manchmal genieße ich es, einfach meinen Gedanken und Assoziationen zu folgen. Am Wochenende habe ich zum Beispiel im Garten Laub gerecht – eine wunderbar harmonische Beschäftigung. Es war windstill, die Sonne schien. Eine friedliche Ruhe breitete sich in mir aus. Dann ein Gedanke: „Dies ist soviel wohltuender als diese lärmenden Laubbläser. Man sollte sie verbieten!“

Die gemächliche Arbeit mit dem Rechen in der Hand ist viel gesünder und umweltfreundlicher – kein Gestank, kein die Nachbarn störender Lärm. Die Behutsamkeit und Ruhe des Rechens kommt einer Meditation nahe.

In buddhistischen Klöstern werden diese Alltagshandlungen wie Laubrechen, Putzen der Böden und Toiletten oder die Pflege des Steingartens als spirituelle Übungen betrachtet. Bevor wir eine Spülmaschine hatten, hing über unserer Spüle eine Losung von Thich Nhat Hanh:

„Geschirr spülen ist wie einen kleinen Buddha baden.“

Eine kleine Erinnerung daran, dass es beim Abspülen nicht darum geht, möglichst schnell fertig zu werden, sondern jeden Augenblick des Lebens aufmerksam und freudig zu verbringen. Das Laubrechen erlebe ich ebenso, es ist eine ruhige Routine wiederkehrender Bewegungen und hat etwas wunderbar sinnvoll Sinnloses. Denn kaum ist eine Fläche von Blättern befreit, weht der Wind das nächste Blatt auf den Boden.

Diese Gedanken erinnerten mich an das Buch von „Freddie the Leaf“. Nach einem wunderbaren Frühling, Sommer und Herbst steht der Winter vor der Tür. Fast alle Blätter sind schon vom Baum gefallen, aber Freddie hat Angst vor dem was kommt und klammert sich an seinem Ast fest.

„Werden wir alle sterben?“ fragt er seinen weisen Freund Daniel. Und dieser antwortet: „Ja, alles stirbt. Ganz gleich wie groß oder klein, wie schwach oder stark. Erst machen wir unseren Job, wir erleben die Sonne und den Mond, den Wind und den Regen. Wir lernen zu tanzen und zu lachen. Dann sterben wir.“
(Leo Buscaglia: the Fall of Freddie the Leaf, www.goodreads.com)

Könnte es eine bessere Erinnerung geben, jeden einzelnen Tag zu genießen? Wie Freddie ergeht es auch uns, wir leben unser Leben und plötzlich - völlig überraschend - finden wir uns wieder im Kreislauf des Lebens. Alles in dieser Welt ist zyklisch, wie könnte es auch anders sein auf einem kugelförmigen Planeten, der sich in einer Kreisbahn um seine Sonne bewegt? Vielleicht könnten wir aus der beschränkten Perspektive von ein paar Jahrzehnten des „immer mehr“ in Europa denken, dass der materielle „Fortschritt“ einfach so weitergehen kann.

Im Kreislauf des Lebens
Im Kreislauf des Lebens

Nun sieht es aber eher so aus, als wäre der Traum vom Menschen als Krönung der Schöpfung und Herrscher über die Natur ausgeträumt. Oder sind wir lernfähig genug, unsere Rolle als Teil eines umfassenden biologischen Systems wieder einzunehmen und als Menschen zum Überleben des Planeten beizutragen, statt ihn gnadenlos auszubeuten?

Die aktuellen Krisen – Corona – Klima – soziale Ungerechtigkeit – sind aus meiner Sicht Folge deutlicher globaler Ungleichgewichte, die aus unserer einseitig linearen wachstumsorientierten Wirtschaftsweise resultieren. Wir können als Einzelne und als Gesellschaften entscheiden, was wir hier und jetzt dazu beitragen wollen, damit unser Planet einem ökologischen Gleichgewicht wieder näherkommt. Je schneller und effektiver wir das tun, umso besser stehen die Chancen für unsere Nachkommen. Gönnen wir doch auch ihnen die Chance auf ein glückliches Leben.

Mein Fazit:
Als Kind war ich noch regelmäßig ohne Erwachsene in Wald und Flur unterwegs, den Wandel der Jahreszeiten erleben, Pflanzen und Tiere beim Wachsen beobachten und tot sehen, Dämme bauen und Höhlen erkunden. Welche Chance haben Kinder, die natürliche Begrenztheit des Lebens zu erfahren, wenn sie im endlosen Strom der elektronischen Feeds gefangen sind?

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