Spinne

Beim Fensterputzen habe ich heute eine kleine Spinne entdeckt. Die Idee für meinen heutigen Text war geboren. Denn allein das Wort „Spinne“ löst die unterschiedlichsten Gefühle und Reaktionen aus.

Aus der einen Perspektive wirkt sie wie ein riesiger Alien im Science-Fiction-Film, der durch die Bäume springt. Aus der Nähe betrachtet entsteht eine skurrile Figur mit Verrenkungen und einem Echsenkopf. Mein Blickwinkel macht den entscheidenden Unterschied dafür, was ich sehe.

So ergeht es mir auch oft mit den Menschen um mich herum. Je nach meiner Stimmung und Haltung lösen meine Kinder oder meine Frau ganz unterschiedliche Reaktionen aus. Manchmal suche ich einen Anlass für meinen Ärger. Manchmal bin ich in der Lage mich mit meinem Gegenüber zu freuen, manchmal weckt derselbe Anlass aber auch Verwunderung oder sogar meinen Neid. So sind meine Kinder immer wieder Auslöser aber nicht Ursache für die unterschiedlichsten Gefühle in mir.

MEINE Gefühle – MEINE Geschichte

Spinne
Ausserirdische in den Bäumen?

Dabei hilft mir sehr zu wissen, dass meine Gefühle MEINE Gefühle sind. Das heißt, es ist meine Aufgabe mit ihnen klarzukommen. Schließlich haben sie ausschließlich mit meiner Geschichte zu tun. Manchmal sehe ich es auch als unterstützende Rolle der Kinder, immer wieder meine Knöpfe zu drücken und mich so daran zu erinnern, dass da noch eine Lernaufgabe aussteht.

Eltern werden heißt für mich erwachsen werden, immer wieder die alten Geschichten loslassen, aus der Kinder-Rolle heraustreten, weitergehen. Ich will Verantwortung für mein Leben übernehmen, um der Mensch zu werden, der ich sein möchte, und den Beitrag für meine Familie zu leisten, den ich leisten möchte. Und wer könnte da eine bessere Hilfe sein, als meine Kinder, die mich jeden Tag begleiten, von mir lernen und mit mir wachsen wollen.

Tägliches Üben hilft

Eine sehr schöne Gelegenheit, mir meiner Sichtweisen und Reflexe bewusst zu werden und flexibler mit meinen Vorurteilen zu werden, habe ich in Bussen und Bahnen gefunden. Ich beobachte dort meine spontane Reaktion auf völlig fremde Menschen. Ich phantasiere mir ein Bild ihres Lebens. Und dann stelle ich mir dieselben Menschen in Vergangenheit oder Zukunft vor.

Wie der griesgrämige Alte wohl aussah, als er Anfang zwanzig war, voller Kraft und Freude auf das Leben, das vor ihm liegt. Was würde die junge alleinerziehende Frau, die mit ihren Kindern schimpft, wohl mit einer Lottomillion anfangen? Wie würde ihr Leben in zehn Jahren aussehen, wenn sie keinen Stress wegen Hartz IV, sondern eine große Wohnung, eine Haushaltshilfe und dreimal jährlich einen Familienurlaub hätte. Und wie werden die schicken Jugendlichen sich eines Tages am Rollator über Hilfe freuen, wenn sie über die vielbefahrene Straße wollen und ihre Einkaufstasche so schwer ist.

Wenn wir unsere Überzeugungen und Meinungen einfach als aktuelle Überzeugungen und Meinungen sehen können und sie nicht für „die Wahrheit“ halten, dann wird vieles einfacher.

Vater Reisenauer
Mein Vater in jungen Jahren

Im Alltag die Perspektive wählen können

Und so geht es mir auch mit meinen Kindern: Wie werden meine Tochter und ich wohl in fünf Jahren auf unseren jetzigen Streit zurückschauen? Wie habe ich vor 10 Jahren über diese Frage gedacht? Und wie werde ich das sehen, wenn ich erstmal Opa bin?

Ich empfinde es sehr entlastend, dass meine heutige Auffassung, wie stark sie auch sein mag, nur vorübergehend ist. Ich kann heute gut zu ihr stehen, da ich nicht für immer an sie gebunden bin. Und ich kann meine Meinung leichter zugunsten eines Kompromisses ändern, da sie sich mit neuen Erfahrungen sowieso verändern wird. Wir können uns zwar nicht aussuchen, was wir in der Vergangenheit mitbekommen haben, aber wir können heute entscheiden, wie wir damit umgehen.

„Eine der letzten menschlichen Freiheiten ist, seine Einstellung unter welchen Umständen auch immer frei wählen zu können und einen eigenen Weg wählen zu können.”
(Viktor Frankl, zitatezumnachdenken.com, Abgerufen am 19.8.2020)

Mein Fazit:
Regelmäßiger Wechsel der Perspektive erhält das Denken flexibel und die Lösungen für Probleme kreativ. Auch eingefahrene Denkmuster und Gefühle können bewusst verändert werden. Wir lernen nie aus!

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